Tbilissi 2

Wir haben endlich einen Tag, an dem wir nicht Auto fahren. Wir frühstücken wie normale Menschen an einem Tisch und nutzen sanitäre Einrichtungen. Wobei es hier schon wieder schwierig wird, keine deutsche Klugscheißerei aufgrund mangelhafter technischer Umsetzung herauszuholen. Aber die Dusche im Bad an den Durchlauferhitzer in der Küche anzuschließen ist durchaus hinterfragbar. Wir bekommen irgendwann heraus, dass wir nur warmes Wasser zum Duschen bekommen, wenn wir gleichzeitig das warme Wasser in der Küche voll aufdrehen.

Wir wollen zu Fuß die nähere Umgebung erkunden, was aber in der Altstadt allein schon eine große Aufgabe ist. Wir stellen schnell fest, dass es wieder warm werden wird und fahren erstmal die 60 Höhenmeter zur Mutter Georgiens mit der Seilbahn. Es gibt von dieser Statue aus einen Wanderweg auf dem Hügel entlang, der schöne Ausblicke über die Stadt bietet. Wir verausgaben uns aber hauptsächlich beim fotografieren und suchen uns nach kurzer Pause im Appartement ein Restaurant in der Nähe. Das Otsy ist Nummer 4 von 1200 bei Tripadvisor und die Topempfehlung bei wanderlush (was ich aber erst hinterher rausfinde). Zur Forelle gibt es für mich den ersten georgischen Wein, den ich hauptsächlich interessant finde.

Am Abend kaufen wir noch Postkarten und Briefmarken, wobei sich der Gesamtpreis mit wildem Taschenrechnergehacke schlagartig vervierfacht, als wir betonen, dass wir die Karten international verschicken möchten. Und damit höher ist als für ein Essen für drei Personen. Wir überqueren den Fluss Kura und laufen im Stadtviertel Avlabari hinauf zur Dreifaltigkeitskirche. Kurz nachdem Susi und Ida sie betreten haben werden die Türen geschlossen. Ich frohlocke schon, aber die beiden finden dann doch noch einen geöffneten Seitenausgang. Auf dem Rückweg spricht uns ein etwas abgerissen wirkender Georgier in (hervorragendem) Deutsch an und erzählt uns von seinem Studium in der DDR. Die Gründe, warum er momentan wohl nicht nach Deutschland einreisen darf beleuchtet er nicht näher. Ida ist aufgrund seiner Lautstärke etwas eingeschüchtert, ich schaue (nach Susis Aussage) zumindest anfangs sehr abweisend. Das liegt aber bestimmt nur daran, dass ich immer noch über den Briefmarkennepp grüble…

Am Abreisetag trödeln wir noch etwas vor uns hin, bevor wir Tamara den Schlüssel unter die Fußmatte legen und zunächst mal Richtung Dinamo Stadion fahren. Der Versuch, online ein Parkticket zu kaufen (nix Automat…) scheitert trotz der sehr guten Übersetzungsapp yandex kläglich. In der Zwischenzeit hat zumindest Susi Brot, Käse und Gemüse fürs Abendbrot gekauft. Wir finden einen anderen Platz und latschen übers Stadiongelände (Stadion selber ist komplett verriegelt) auf der Suche nach dem Fanshop. Dabei lerne ich, dass nicht nur Männertoiletten unappetitlich aussehen können, als meine Frau völlig entsetzt aus der Damentoilette gestürmt kommt und mir mit einem „Mach Du!“ das Kind in die Hand drückt. So schlimm wars dann gar nicht, ist eben alles eine Frage der Technik… Wir beschließen unseren Aufenthalt mit einem Besuch des kribbelbunten Dezerter Bazaar, bevor wir Richtung Norden aufbrechen.

Tbilissi 1

Leider ist es nach Tbilissi noch viel weiter als gedacht. Oder eher: Noch viel länger. Ich würde zwar sicherlich inzwischen einen guten Marshrutka-Fahrer abgeben aber Fahrzeug, Straßenverlauf und -zustand setzen einfach Grenzen. Im Reiseführer hieß es immer, dass es im Norden und Süden Gebirge gibt, was mich zu der steilen Annahme verleitete, dass die Mitte ja offenbar eher flach ist. War aber eine Fehlinterpretation. Die Autobahn A1 von Kutaisi nach Tbilissi ist zu großen Teilen noch nicht fertig. Die riesige Baustelle entlang der bestehenden Route sieht aus wie die der ICE-Trasse durch den Thüringer Wald. Brücken und Tunnel im ständigen Wechsel.

 Die Militärparade, die wir eigentlich gern sehen wollen können wir schon mal abhaken. Der letzte Autobahnteil Richtung Hauptstadt ist dann aber doch schon fertiggestellt, es gibt sogar Raststätten und an einer sogar ein Wendy´s, dessen Besuch mir Susi aber verweigert. Gerade noch so im Zielzeitfenster der Gastgeberin Tamara nähern wir uns der Unterkunft, dann geht aber nix mehr. Aufgrund der Feierlichkeiten ist die drittletzte Straße abgesperrt, Versuche einen Schlenker zu schlagen enden in irgendwelchen steilen Sackgassen. Das blöde google maps hilft leider kein bisschen. Nach der dritten Runde schlägt es uns auf einmal eine sinnvoll erscheinende Alternativroute vor. Aber da ist die Straßensperrung auf einmal aufgehoben. Wir gelangen über verwinkelte Gassen, nicht, ohne ein paarmal Rangieren zu müssen, zu unserer Ferienwohnung. Dort steht der beschriebene Parkplatz wie fast befürchtet nicht zur Verfügung. Erst ab Abend, ich möge doch inzwischen woanders parken. Das ist in der Nähe an diesem Tag aber genauso aussichtslos. Nach kurzem Entladen drehe ich also in größer werdender Verzweiflung wieder meine Runden. Nicht ohne Feindkontakt (also, möglicherweise…). Irgendwann erlöst mich Tamara, indem sie mich über Whatsapp anruft und mitteilt, dass ein Parkplatz frei wäre.

Wir erfrischen uns kurz und stürzen uns dann ins Getümmel anlässlich des Unabhängigkeitstages (der ersten Georgischen Republik 1918-21). Der Freiheitsplatz und eine mehrspurige Straße, die Rustaveli Avenue, sind großräumig abgesperrt. Es gibt neben den obligatorischen Fressbuden (Kartenzahlung möglich!) mehrere Bühnen und vor allem viele kleinere Sachen, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Von Schach über Fußballtennis und Weinverkostung bis zu VR-Achterbahnfahrten. Zu meiner großen Freude ist das alles nicht zu folkloristisch. Nachdem Ida ein Fähnchen zum Schwenken bekommen hat geht sie, im Wortsinn, total ab. Wird aber wieder eingefangen. Zu einem unerwartet großen Problem wird an diesem Abend noch das Abheben von Bargeld. Die ersten beiden angesteuerten Geräte sind Payboxen: da kann man offenbar zwar seine SIM-Karte aufladen, seine Gasrechnung bezahlen oder gar bitcoins kaufen. Aber eben keine Kohle holen. Die nächsten drei sind einfach leer. Was einem aber selbstverständlich bei zweien erst ganz am Ende mitgeteilt wird.

Als Höhepunkt möchten wir gern noch das Feuerwerk sehen, dass wohl um 22:00 stattfinden soll. Zuerst sitzen wir auf einer Tribüne rum, die unter unseren Hintern schon abgebaut wird, danach laufen wir durch ein paar Seitenstraßen, in denen wir zu Idas Freude auf einen Spielplatz stoßen. Um 21:53 startet plötzlich das Feuerwerk, wir klemmen uns das Kind unter den Arm um an eine Position mit Sicht zu gelangen. Als wir etwa drei Minuten später wieder auf dem Freiheitsplatz stehen ist aber alles schon vorbei.

Oh, oh – hohe Berge

Wie immer wache ich als erstes auf, zum Laufen ist es mir aber zu kalt also mache ich ein paar Fotos. Nach dem Frühstück fahren wir die restlichen Kilometer nach Mestia. Wie bislang immer ist die Parkplatzsuche kein Problem, wir bekommen in der Ortsmitte einen kostenlosen Parkplatz. Auch hier sind die Aktivitäten zum Unabhängigkeitstag im vollen Gange: es werden massig fabrikneue Fahnen mit Bügelfalte gehisst und der offenbar abgebrannte Dachstuhl des Rathauses wird mit Planen verhüllt. Wir wandern dann mal los, was für Ida bedeutet: erstmal bocken! Die Wanderung zum Mestia Cross, die ich meiner zweiten Hauptinformationsquelle, dem Stefan Loose Travel Handbuch entnommen habe, entpuppt sich als im Buch verfälscht dargestellt. Das Verhältnis von Auf- zu Abstieg verwirrt und verleitet zu falschen Schlüssen. Zudem habe ich mir die Höhenangaben offenbar nicht genau genug zu Gemüte geführt: der Weg nach oben zieht sich, Beschwerden aus dem Gefolge häufen sich. Irgendwann sind wir aber knapp 800hm weiter oben und genießen die fantastische Aussicht. Wir nehmen nach Foto- und Fresspause den vorgeschlagenen alternativen Rückweg, der zumindest teilweise eine deutlich bessere Oberflächenbeschaffenheit aufweist. Zurück im Örtchen besorgen wir uns zu ziemlich mitteleuropäischen Preisen Cappucino und als Proviant Shaurma. Das ist offenbar die georgische Variante von Dürüm. Schmeckt grandios!

Da wir, wie bereits erwähnt, morgen schon in Tbilissi sein wollen, lautet das Gebot der durchaus vorgerückten Stunde: Fahren, soweit wie es geht. Bzw. aus Sicherheitsgründen: Solange man nochwas sieht. Allgemein wird von Nachtfahrten in Georgien eher abgeraten, die Beleuchtungsanlage unseres Sprinters ist zudem mit „vorhanden“ hinreichend beschrieben. Es geht aber alles gut, große umgedrehte „U“ in der Mitte der Straße entpuppen sich als alte Reifen, die man statt Gullideckeln in offenen Kanalschächten platziert hat… Wir fahren zurück bis Zugdidi (vor allem, weil der Name so schön ist) bis mein automatikverwöhntes, linkes Kupplungsknie mit Vehemenz eine Erholungspause fordert. Wir buchen uns noch eine Unterkunft in der Altstadt von Tbilissi, booking gewinnt klar gegen airbnb, bevor wir uns neben einem kleinen Fluss, der sich am nächsten Morgen auch als katzenwäschegeeignet herausstellt, zur Ruhe betten.

Meer und Berge

Zum Übernachten sind wir auf die alte Landebahn des Flughafens Kutaisi gefahren, die weder abgesperrt noch mit irgendwelchen Schildern versehen ist. Da die Damen morgens nicht aus dem Bett kommen ziehe ich die Laufschuhe an und drehe ein paar Ründchen. Dabei werde ich zuerst von einem Pickup extrem langsam überholt, später aber noch angehalten und von einem Zivilisten mit etwa sechs Zähnen gestenreich darauf hingewiesen, dass ich, wenn ich da weiterlaufe erschossen, wenn nicht gar verhaftet werde.

Da sich schon andeutet, dass der Zeitplan mal wieder eng gestrickt ist, verzichten wir darauf, bis nach Batumi zu fahren, aber nicht darauf, wenigstens mal kurz ins Schwarze Meer zu hüpfen. Wir fahren zum Strand von Shekvetili, der aus schwarzem, magnetischen Sand besteht. Nach dem Baden wird noch selber gekocht und im Auto ein ausgiebiger Mittagsschlaf gehalten.

Es geht dann wieder nach Norden, zur Hafenstadt Poti. (Ob größter oder zweitgrößter Hafen des Landes- darüber streiten sich die Quellen). Hauptverschiffungsgut scheinen demolierte Autos zu sein. Wir wundern uns zwar die ganze Zeit, warum beim hier üblichen Fahrstil offenbar nur wenig passiert, werden aber noch am gleichen Tag eines Besseren belehrt, als wir einen SUV sehen, der offenbar gerade aus einem kleinen schlammigen Flüsschen geborgen wurde, in dem er kopfüber gelandet war. Im Stadtzentrum wird erst ein kleiner Spielplatz besucht (Spielgeräte vollkommen identisch mit denen vom Vortag), anschließend geht es zum Leuchtturm, der für lau bestiegen werden kann. Die Sicht ist leider nicht so besonders, da das Wetter schlechter wird und vor allem windiger. Wir befürchten ein Gewitter, weswegen mal wieder ein Übernachtungsplatz (auf einer Wiese) abgewählt wird.

Der morgendliche Elan bleibt weiter unterirdisch und ich darf heute Berganläufe trainieren. Werde aber diesmal nur von einem Pferd mit zusammengebundenen Vorderbeinen, das vermutlich schneller als ich ist, argwöhnisch beäugt.

Wir fahren nach Zugdidi, steigen am Dadiani Palast aus, verzichten darauf, 5 Lari für den Botanischen Garten auszugeben und laufen stattdessen Richtung Innenstadt. Wie allerorten wird für den anstehenden Unabhängigkeitstag geputzt, beflaggt, abgesperrt und aufgebaut. Nach einem Eis und einer verkehrtherum gelesenen Karte, die uns zu einer kleinen Extrarunde verhilft kehren wir erstmals in einem Restaurant ein. Im Diaroni lassen wir uns Gebzhalia, Elarji, Kharcho, Shqmeruli und gekochten Reis schmecken. Anschließend fahren wir zum Tabletka-Friedhof. So wurden die Krankenwagen UAZ 452 zu Sowjetzeiten genannt. Mehr als ein Dutzend gammelt am Rande eines Krankenhausparkplatzes vor sich hin und wartet darauf fotografiert zu werden.

Da ich bei meiner Grobplanung leider den Unabhängigkeitstag fälschlicherweise auf Samstag verortet habe herrscht Zeitnot und wir fahren noch (fast) die 130 Kilometer bis nach Mestia. Die angepeilten dreieinhalb Stunden schaffen wir nicht ganz, was nicht nur an der Straßenbeschaffenheit sondern auch an einem klitzekleinen Festfahren auf einer Wiese bei der Standplatzsuche liegt. Mit etwas zweckentfremdeten, aber eh nassen,  Feuerholz kann  glücklicherweise Abhilfe geschaffen werden. Die Aussicht ist den Ärger aber allemal wert.

Erste Eindrücke

Die grobe Richtung war mit der Parkplatzwahl am Vorabend schon angepeilt, unser erstes Ziel ist der  Martvili Canyon. Hier wird zwar gerade wie verrückt gebaut, aber nachdem man den Schleppern im Umfeld entkommen ist und über eine „Europaletten-Brücke“ das Visitor Centre erreicht hat kann man für überschaubares Geld den Eintritt zum Wanderweg und eine kleine Bootstour buchen.

Anschließend fahren wir zurück Richtung Tskaltubo und müssen erneut unsere Hoffnungen auf einen Mittagsschlaf des Kindes begraben. Sie genießt es, zwischen uns zu sitzen, kommandiert entweder rum, erzählt uns einen vom Pferd oder latscht mit ihren Füßen auf dem Armaturenbrett herum und drückt entweder irgendwelche Knöpfe oder zerrt irgendwelche Ladekabel raus.

Wir sind gegen 14:00 in Tskaltubo, dass zu Sowjetzeiten ein Zentrum der Badetherapie war. Es gab über 20 Sanatorien und angeblich eine direkte Zugverbindung nach Moskau. Die meisten davon verfallen seit der Wende, wenngleich es wohl Bestrebungen gibt, zu sanieren. Deswegen sind einige Gebäude seit kurzem eingezäunt und/oder bewacht, natürlich auch, um sensationsgeile Touristen wie uns davon abzuhalten, darin ihre Insta Stories zu produzieren. Durch eine meiner beiden Hauptinformationsquellen, den Blog wander-lush.org, bin ich aber ziemlich gut vorbereitet. Wir „besuchen“ zuerst das Sanatorium Savane, durchqueren dann den Park, der quasi das Zentrum des Kurbetriebs bildet. Darin befinden sich etliche Badehäuser und Quellen (nur eines noch in Betrieb, darin Stalins persönlicher Pool) , und um den herum sich die ganzen Sanatorien verteilen. Das nächste Ziel ist das Sanatorium „Metalurg“. Nachdem wir es durch den Haupteingang betreten dauert es aber nur wenige Sekunden, bis wir aus der ersten Etage von einem älteren Herren und aus dem Erdgeschoß von einer älteren Dame mit irgendwas zwischen drei und fünf Zähnen auf georgisch zugeschwallt werden. Da unser „english?“ ignoriert wird schlägt jetzt meine große Stunde. Jahrelang war es mir verwehrt, aufgrund angeblich schlechten Betragens, mit dem Freundschaftszug die Erfurter Partnerstadt Vilnius zu besuchen und dort mein Russisch zu praktizieren. Mir blieb nur mein Russischlehrer Herr Schellknecht… Aber das ist jetzt vorbei! Ich gebe mich zu erkennen und die Dame offeriert eine Führung durchs Gebäude für schlanke 5 Lari pro Person. Kinder frei. Größere Scheine kann sie problemlos wechseln. Letztlich erzählt sie uns, wo welche Räume waren und der ältere Herr wirft zu Fotozwecken in der Empfangshalle sogar den Kronleuchter an. Sie gehören offenbar zu den Leuten, die inzwischen in einigen der ehemaligen Sanatorien leben, machen sich etwas Geld und verhindern nebenbei, dass irgendwer durch ihr Schlafzimmer trampelt. 10 Lari sind etwa 3,33€…

Danach sind wir ziemlich knülle, gönnen uns erst ein Eis und etwas später neben einem Spielplatz auch noch unser erstes Khachapuri.