Wetter, Wetter, Wetter

Wie uns Zaza (der deutschsprechende Georgier des Vorabends) schon mitgeteilt hatte, ist die Straße nach Stepantsminda nicht so fürchterlich wie jene nach Mestia. Da geringer Termindruck herrscht genehmigen wir uns eine Badepause am Ananuri-Stausee. Wir sind allerdings die einzigen Badenden zwischen vielen Anglern und wenigen Sonnenanbetern. Bei der Kleiderordnung wird gegen georgisches Recht verstoßen…

Die Georgische Heerstraße windet sich dann im mittleren Teil über etliche Serpentinen nach oben zum Wintersportort Gudauri, der aber eher einer Baustelle gleicht. Zügiges Vorankommen wird durch die unzähligen LKWs unterbunden, die auf dieser Transitstrecke unterwegs sind, wir treffen dann am frühen Abend in der Nähe von Stepantsminda ein. Es nieselt ein wenig, hört auch die ganze Nacht nicht auf, am Morgen ist alles wolkenverhangen mit wenig Aussicht auf Besserung. Ein oder zwei Tage vorher hatte ich mich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass wir dieses Jahr ja offenbar Glück mit dem Wetter hätten, jetzt überlege ich ernsthaft, die Wanderung zur Gergeti-Dreifaltigkeitskirche um einen Tag nach hinten zu schieben. Aber wir wandern natürlich los und haben auch während fast des gesamten Aufstiegs angenehme Bedingungen. Bisschen Sonne, bisschen Nieselregen, bisschen Wind. Nur kurz vor der Kirche fängt es dann stark zu regnen an und wir setzen zu einem olympiareifen Schlussspurt an. Die nächsten 45 Minuten verbringen wir mit 467 Asiaten in einer Ecke des Torhauses, auf Wetterbesserung hoffend. Nachdem das Rudel der Gäste aus Fernost von der Kirche zurückkommt huschen auch wir die paar Schritte zum Eingang hinüber. Wir zünden drei Kerzen an und selbstverständlich hat es (kurz!) aufgehört zu regnen, als wir die Kirche wieder verlassen. Wir entscheiden uns einstimmig dafür, für den Rückweg die Straße zu nehmen, die wohl etwas länger aber wohl auch nicht so schlammig ist. Angeblich gab es mal ein Seilbahn zur Kirche hoch, die aber aufgrund nicht völlig gewaltloser Proteste der Einheimischen, die der Meinung waren, man solle doch zu einem Wallfahrtsort gefälligst laufen, irgendwann wieder abgerissen wurde. Um dann durch eine Straße und einen riesigen Parkplatz ersetzt zu werden…

Auf der Rückfahrt fahren wir irgendwann rechts ran, um für ein Stündchen den Entspannungsbereich im hinteren Teil des Autos zu nutzen. Als wir wieder erwachen riecht es nach Grill und wir besuchen kurzentschlossen das Restaurant 50 Meter weiter. Um diese Zeit ist noch nicht viel los, es halten hauptsächlich Kleinbusse, deren Besatzungen zur Toilette müssen. Wir bestellen uns Khinkali, Schaschlik und eingelegte Auberginen. Die Einheimischen an den beiden anderen besetzten Tischen erhalten die selben Hauptgerichte, sind uns lediglich bei der Khinkali-Esstechnik etwa voraus.

Wir fahren bis nördlich von Tbilissi und übernachten auf einem… Picknickgelände(?). An einem Waldrand gibt es etliche Sitzgruppen und man sieht auch vereinzelte Zelte zwischen den Bäumen stehen. Nachdem wir stehen mache ich mich mit Ida zu Fuß auf, nach einem etwas ebeneren Platz zu suchen. Den finden wir zwar nicht, dafür aber eine russische Familie aus Samara, mit der wir uns prompt in wildem Englisch-Russisch-Kauderwelsch verquatschen. Man tauscht sich über Stellplatz- und Übersetzungsapps, selbstgebaute Miniküchen fürs Auto und lohnenswerte Reiseziele aus. Als wir fast eine halbe Stunde später zur Mutti zurückkehren, hat diese schon vor geraumer Zeit das Auto fluchtartig verlassen. „Da piept was!!!“ Es ist aber nicht der Selbstzerstörungsmechanismus, sondern nur der Batteriewächter des Wechselrichters (den ich vergessen habe abzuschalten). 

Tbilissi 2

Wir haben endlich einen Tag, an dem wir nicht Auto fahren. Wir frühstücken wie normale Menschen an einem Tisch und nutzen sanitäre Einrichtungen. Wobei es hier schon wieder schwierig wird, keine deutsche Klugscheißerei aufgrund mangelhafter technischer Umsetzung herauszuholen. Aber die Dusche im Bad an den Durchlauferhitzer in der Küche anzuschließen ist durchaus hinterfragbar. Wir bekommen irgendwann heraus, dass wir nur warmes Wasser zum Duschen bekommen, wenn wir gleichzeitig das warme Wasser in der Küche voll aufdrehen.

Wir wollen zu Fuß die nähere Umgebung erkunden, was aber in der Altstadt allein schon eine große Aufgabe ist. Wir stellen schnell fest, dass es wieder warm werden wird und fahren erstmal die 60 Höhenmeter zur Mutter Georgiens mit der Seilbahn. Es gibt von dieser Statue aus einen Wanderweg auf dem Hügel entlang, der schöne Ausblicke über die Stadt bietet. Wir verausgaben uns aber hauptsächlich beim fotografieren und suchen uns nach kurzer Pause im Appartement ein Restaurant in der Nähe. Das Otsy ist Nummer 4 von 1200 bei Tripadvisor und die Topempfehlung bei wanderlush (was ich aber erst hinterher rausfinde). Zur Forelle gibt es für mich den ersten georgischen Wein, den ich hauptsächlich interessant finde.

Am Abend kaufen wir noch Postkarten und Briefmarken, wobei sich der Gesamtpreis mit wildem Taschenrechnergehacke schlagartig vervierfacht, als wir betonen, dass wir die Karten international verschicken möchten. Und damit höher ist als für ein Essen für drei Personen. Wir überqueren den Fluss Kura und laufen im Stadtviertel Avlabari hinauf zur Dreifaltigkeitskirche. Kurz nachdem Susi und Ida sie betreten haben werden die Türen geschlossen. Ich frohlocke schon, aber die beiden finden dann doch noch einen geöffneten Seitenausgang. Auf dem Rückweg spricht uns ein etwas abgerissen wirkender Georgier in (hervorragendem) Deutsch an und erzählt uns von seinem Studium in der DDR. Die Gründe, warum er momentan wohl nicht nach Deutschland einreisen darf beleuchtet er nicht näher. Ida ist aufgrund seiner Lautstärke etwas eingeschüchtert, ich schaue (nach Susis Aussage) zumindest anfangs sehr abweisend. Das liegt aber bestimmt nur daran, dass ich immer noch über den Briefmarkennepp grüble…

Am Abreisetag trödeln wir noch etwas vor uns hin, bevor wir Tamara den Schlüssel unter die Fußmatte legen und zunächst mal Richtung Dinamo Stadion fahren. Der Versuch, online ein Parkticket zu kaufen (nix Automat…) scheitert trotz der sehr guten Übersetzungsapp yandex kläglich. In der Zwischenzeit hat zumindest Susi Brot, Käse und Gemüse fürs Abendbrot gekauft. Wir finden einen anderen Platz und latschen übers Stadiongelände (Stadion selber ist komplett verriegelt) auf der Suche nach dem Fanshop. Dabei lerne ich, dass nicht nur Männertoiletten unappetitlich aussehen können, als meine Frau völlig entsetzt aus der Damentoilette gestürmt kommt und mir mit einem „Mach Du!“ das Kind in die Hand drückt. So schlimm wars dann gar nicht, ist eben alles eine Frage der Technik… Wir beschließen unseren Aufenthalt mit einem Besuch des kribbelbunten Dezerter Bazaar, bevor wir Richtung Norden aufbrechen.

Tbilissi 1

Leider ist es nach Tbilissi noch viel weiter als gedacht. Oder eher: Noch viel länger. Ich würde zwar sicherlich inzwischen einen guten Marshrutka-Fahrer abgeben aber Fahrzeug, Straßenverlauf und -zustand setzen einfach Grenzen. Im Reiseführer hieß es immer, dass es im Norden und Süden Gebirge gibt, was mich zu der steilen Annahme verleitete, dass die Mitte ja offenbar eher flach ist. War aber eine Fehlinterpretation. Die Autobahn A1 von Kutaisi nach Tbilissi ist zu großen Teilen noch nicht fertig. Die riesige Baustelle entlang der bestehenden Route sieht aus wie die der ICE-Trasse durch den Thüringer Wald. Brücken und Tunnel im ständigen Wechsel.

 Die Militärparade, die wir eigentlich gern sehen wollen können wir schon mal abhaken. Der letzte Autobahnteil Richtung Hauptstadt ist dann aber doch schon fertiggestellt, es gibt sogar Raststätten und an einer sogar ein Wendy´s, dessen Besuch mir Susi aber verweigert. Gerade noch so im Zielzeitfenster der Gastgeberin Tamara nähern wir uns der Unterkunft, dann geht aber nix mehr. Aufgrund der Feierlichkeiten ist die drittletzte Straße abgesperrt, Versuche einen Schlenker zu schlagen enden in irgendwelchen steilen Sackgassen. Das blöde google maps hilft leider kein bisschen. Nach der dritten Runde schlägt es uns auf einmal eine sinnvoll erscheinende Alternativroute vor. Aber da ist die Straßensperrung auf einmal aufgehoben. Wir gelangen über verwinkelte Gassen, nicht, ohne ein paarmal Rangieren zu müssen, zu unserer Ferienwohnung. Dort steht der beschriebene Parkplatz wie fast befürchtet nicht zur Verfügung. Erst ab Abend, ich möge doch inzwischen woanders parken. Das ist in der Nähe an diesem Tag aber genauso aussichtslos. Nach kurzem Entladen drehe ich also in größer werdender Verzweiflung wieder meine Runden. Nicht ohne Feindkontakt (also, möglicherweise…). Irgendwann erlöst mich Tamara, indem sie mich über Whatsapp anruft und mitteilt, dass ein Parkplatz frei wäre.

Wir erfrischen uns kurz und stürzen uns dann ins Getümmel anlässlich des Unabhängigkeitstages (der ersten Georgischen Republik 1918-21). Der Freiheitsplatz und eine mehrspurige Straße, die Rustaveli Avenue, sind großräumig abgesperrt. Es gibt neben den obligatorischen Fressbuden (Kartenzahlung möglich!) mehrere Bühnen und vor allem viele kleinere Sachen, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Von Schach über Fußballtennis und Weinverkostung bis zu VR-Achterbahnfahrten. Zu meiner großen Freude ist das alles nicht zu folkloristisch. Nachdem Ida ein Fähnchen zum Schwenken bekommen hat geht sie, im Wortsinn, total ab. Wird aber wieder eingefangen. Zu einem unerwartet großen Problem wird an diesem Abend noch das Abheben von Bargeld. Die ersten beiden angesteuerten Geräte sind Payboxen: da kann man offenbar zwar seine SIM-Karte aufladen, seine Gasrechnung bezahlen oder gar bitcoins kaufen. Aber eben keine Kohle holen. Die nächsten drei sind einfach leer. Was einem aber selbstverständlich bei zweien erst ganz am Ende mitgeteilt wird.

Als Höhepunkt möchten wir gern noch das Feuerwerk sehen, dass wohl um 22:00 stattfinden soll. Zuerst sitzen wir auf einer Tribüne rum, die unter unseren Hintern schon abgebaut wird, danach laufen wir durch ein paar Seitenstraßen, in denen wir zu Idas Freude auf einen Spielplatz stoßen. Um 21:53 startet plötzlich das Feuerwerk, wir klemmen uns das Kind unter den Arm um an eine Position mit Sicht zu gelangen. Als wir etwa drei Minuten später wieder auf dem Freiheitsplatz stehen ist aber alles schon vorbei.

Oh, oh – hohe Berge

Wie immer wache ich als erstes auf, zum Laufen ist es mir aber zu kalt also mache ich ein paar Fotos. Nach dem Frühstück fahren wir die restlichen Kilometer nach Mestia. Wie bislang immer ist die Parkplatzsuche kein Problem, wir bekommen in der Ortsmitte einen kostenlosen Parkplatz. Auch hier sind die Aktivitäten zum Unabhängigkeitstag im vollen Gange: es werden massig fabrikneue Fahnen mit Bügelfalte gehisst und der offenbar abgebrannte Dachstuhl des Rathauses wird mit Planen verhüllt. Wir wandern dann mal los, was für Ida bedeutet: erstmal bocken! Die Wanderung zum Mestia Cross, die ich meiner zweiten Hauptinformationsquelle, dem Stefan Loose Travel Handbuch entnommen habe, entpuppt sich als im Buch verfälscht dargestellt. Das Verhältnis von Auf- zu Abstieg verwirrt und verleitet zu falschen Schlüssen. Zudem habe ich mir die Höhenangaben offenbar nicht genau genug zu Gemüte geführt: der Weg nach oben zieht sich, Beschwerden aus dem Gefolge häufen sich. Irgendwann sind wir aber knapp 800hm weiter oben und genießen die fantastische Aussicht. Wir nehmen nach Foto- und Fresspause den vorgeschlagenen alternativen Rückweg, der zumindest teilweise eine deutlich bessere Oberflächenbeschaffenheit aufweist. Zurück im Örtchen besorgen wir uns zu ziemlich mitteleuropäischen Preisen Cappucino und als Proviant Shaurma. Das ist offenbar die georgische Variante von Dürüm. Schmeckt grandios!

Da wir, wie bereits erwähnt, morgen schon in Tbilissi sein wollen, lautet das Gebot der durchaus vorgerückten Stunde: Fahren, soweit wie es geht. Bzw. aus Sicherheitsgründen: Solange man nochwas sieht. Allgemein wird von Nachtfahrten in Georgien eher abgeraten, die Beleuchtungsanlage unseres Sprinters ist zudem mit „vorhanden“ hinreichend beschrieben. Es geht aber alles gut, große umgedrehte „U“ in der Mitte der Straße entpuppen sich als alte Reifen, die man statt Gullideckeln in offenen Kanalschächten platziert hat… Wir fahren zurück bis Zugdidi (vor allem, weil der Name so schön ist) bis mein automatikverwöhntes, linkes Kupplungsknie mit Vehemenz eine Erholungspause fordert. Wir buchen uns noch eine Unterkunft in der Altstadt von Tbilissi, booking gewinnt klar gegen airbnb, bevor wir uns neben einem kleinen Fluss, der sich am nächsten Morgen auch als katzenwäschegeeignet herausstellt, zur Ruhe betten.

Meer und Berge

Zum Übernachten sind wir auf die alte Landebahn des Flughafens Kutaisi gefahren, die weder abgesperrt noch mit irgendwelchen Schildern versehen ist. Da die Damen morgens nicht aus dem Bett kommen ziehe ich die Laufschuhe an und drehe ein paar Ründchen. Dabei werde ich zuerst von einem Pickup extrem langsam überholt, später aber noch angehalten und von einem Zivilisten mit etwa sechs Zähnen gestenreich darauf hingewiesen, dass ich, wenn ich da weiterlaufe erschossen, wenn nicht gar verhaftet werde.

Da sich schon andeutet, dass der Zeitplan mal wieder eng gestrickt ist, verzichten wir darauf, bis nach Batumi zu fahren, aber nicht darauf, wenigstens mal kurz ins Schwarze Meer zu hüpfen. Wir fahren zum Strand von Shekvetili, der aus schwarzem, magnetischen Sand besteht. Nach dem Baden wird noch selber gekocht und im Auto ein ausgiebiger Mittagsschlaf gehalten.

Es geht dann wieder nach Norden, zur Hafenstadt Poti. (Ob größter oder zweitgrößter Hafen des Landes- darüber streiten sich die Quellen). Hauptverschiffungsgut scheinen demolierte Autos zu sein. Wir wundern uns zwar die ganze Zeit, warum beim hier üblichen Fahrstil offenbar nur wenig passiert, werden aber noch am gleichen Tag eines Besseren belehrt, als wir einen SUV sehen, der offenbar gerade aus einem kleinen schlammigen Flüsschen geborgen wurde, in dem er kopfüber gelandet war. Im Stadtzentrum wird erst ein kleiner Spielplatz besucht (Spielgeräte vollkommen identisch mit denen vom Vortag), anschließend geht es zum Leuchtturm, der für lau bestiegen werden kann. Die Sicht ist leider nicht so besonders, da das Wetter schlechter wird und vor allem windiger. Wir befürchten ein Gewitter, weswegen mal wieder ein Übernachtungsplatz (auf einer Wiese) abgewählt wird.

Der morgendliche Elan bleibt weiter unterirdisch und ich darf heute Berganläufe trainieren. Werde aber diesmal nur von einem Pferd mit zusammengebundenen Vorderbeinen, das vermutlich schneller als ich ist, argwöhnisch beäugt.

Wir fahren nach Zugdidi, steigen am Dadiani Palast aus, verzichten darauf, 5 Lari für den Botanischen Garten auszugeben und laufen stattdessen Richtung Innenstadt. Wie allerorten wird für den anstehenden Unabhängigkeitstag geputzt, beflaggt, abgesperrt und aufgebaut. Nach einem Eis und einer verkehrtherum gelesenen Karte, die uns zu einer kleinen Extrarunde verhilft kehren wir erstmals in einem Restaurant ein. Im Diaroni lassen wir uns Gebzhalia, Elarji, Kharcho, Shqmeruli und gekochten Reis schmecken. Anschließend fahren wir zum Tabletka-Friedhof. So wurden die Krankenwagen UAZ 452 zu Sowjetzeiten genannt. Mehr als ein Dutzend gammelt am Rande eines Krankenhausparkplatzes vor sich hin und wartet darauf fotografiert zu werden.

Da ich bei meiner Grobplanung leider den Unabhängigkeitstag fälschlicherweise auf Samstag verortet habe herrscht Zeitnot und wir fahren noch (fast) die 130 Kilometer bis nach Mestia. Die angepeilten dreieinhalb Stunden schaffen wir nicht ganz, was nicht nur an der Straßenbeschaffenheit sondern auch an einem klitzekleinen Festfahren auf einer Wiese bei der Standplatzsuche liegt. Mit etwas zweckentfremdeten, aber eh nassen,  Feuerholz kann  glücklicherweise Abhilfe geschaffen werden. Die Aussicht ist den Ärger aber allemal wert.